Henners Traum
Presse "Henners Traum"
Quelle: Berliner Zeitung - 26.03.2009
Vom Wahn der Entscheider
Peter Uehling
Klaus Stern beleuchtet die Nachtseite des Kapitalismus - in Dokus wie "Henners Traum"
Der Kapitalismus galt lange Zeit als das System der Ausgeschlafenen und Unverträumten, derer, die im Hier und Jetzt leben und ihre Chancen wahrnehmen. Das stimmt natürlich nicht ganz: Ohne den Blick in die Zukunft gibt es keine Planung und ohne Plan keinen Erfolg. Wenn der Plan aufgeht, dann nennt man den Unternehmer einen "Visionär". Wenn der Blick in die Zukunft trog und der Erfolg ausbleibt, dann darf man ihn einen "Träumer" nennen.
Der Filmemacher Klaus Stern befasst sich immer wieder mit jenen Menschen, deren Vision als Traum zerplatzte. Seine Dokumentarfilme handeln von der Nachtseite des Kapitalismus, vom Geflecht aus Wunsch und Wahn, das ihre Protagonisten antreibt. In "Weltmarktführer" hat Stern den Programmierer Tan Siekmann bei seiner Berg-und-Talfahrt als Unternehmer gezeigt: einen kindlichen, moppligen Mann, dessen Firma Biodata am Neuen Markt den steilsten aller Börsenstarts hinlegte und wenig später wieder insolvent war. In "Henners Traum" greift Sterns Darstellung nun von der Wirtschaft aus in die Landespolitik seiner Heimat Hessen. Henner Sattler, Bürgermeister des 17 000-Seelen-Städtchens Hofgeismar, plant in seiner Gemeinde das größte Tourismusprojekt Europas: 450 Hektar groß, sechs Hotels, fünf Golfplätze und ein Poloplatz, mit einem Investitionsvolumen von schlappen 420 Millionen Euro. Angeblich muss man auch alles auf einmal bauen, weil sich sonst die Synergieeffekte nicht einstellen.
Bis ins Detail zeigt Stern, was dieses Vorhaben, ohne dass auch nur eine Baugrube ausgehoben wird, für Kreise zieht. Geradezu harmlos sind die Kritiker, die sich gleich bei der ersten Präsentation zu Wort melden und den Eingriff in die Natur der Domäne Beberbeck nicht gutheißen können - gegen das Argument von bis zu 2 000 Arbeitsplätzen, die mittelbar und unmittelbar mit dem Projekt geschaffen werden können, haben Kuh und Wiese noch immer wenig Chancen.
Schlimmer ist der Architekt Tom Krause, der die kitschig-opportunistischen Hotelentwürfe zu verantworten hat und der auch der Hauptverdiener an dem Projekt wäre. Krause baut Hotelkomplexe auf der ganzen Welt, bevorzugt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo sich das Geld am einfachsten verdient. In Hessen dagegen ist es schon kompliziert, überhaupt das Gelände vom Land auf die Stadt überschrieben zu bekommen. Der Ministerpräsident Roland Koch tritt hier und da auf und improvisiert aus rasch gebrieften Informationen Reden, die nicht zu knapp von Zukunft und Entwicklung handeln.
Aber was ist schon allein mit dem Land gewonnen? Die 420 Millionen Euro müssen ja auch noch aufgetrieben werden - und da zeigt sich Tom Krause, der Architekt, sehr bald von seiner unangenehmen Seite. Hemmungslos bietet er das Projekt als Sporthotel mit "Künstlerdorf" auch mal der Nachbargemeinde an, zofft sich mit Henner Sattler und verträgt sich strategisch wieder mit ihm, zieht sich aber bald zugunsten anderer Bauvorhaben zurück. Und Sattler steigt ab in Verhandlungen mit Investoren, jenen zwielichtigen Gestalten mit verdächtig gutem Benehmen und gnadenlos kurzer Geduld. Schließlich gerät er an einen, der es schon mal ganz unsinnig findet, ein derartiges Projekt auf einmal zu stemmen, statt mit kleinen Einheiten versuchsweise anzufangen. Und dann stellt er die entscheidende Frage, die sich Sattler und Krause angesichts der über den ganzen Film verteilten Regenfälle mal selber hätten stellen sollen: Scheint denn da überhaupt ausreichend Sonne für einen Urlaub?
Erstaunlich, was Stern da in zweieinhalb Jahren alles vor die Kamera bekommen hat an Eitelkeiten, Großsprecherei, Zank, Verzweiflung. Und Intimität: Damit ist nicht nur gemeint, dass wir dem Bürgermeister beim Rasieren zuschauen dürfen, sondern dass wir ganz nah an den Entscheidungen und ihren oftmals erschreckend irrationalen Motiven sind. Trotz geradezu kabarettistischer Schnitte, durch die jede neue Hoffnung sofort mit ihrer Enttäuschung zusammenstößt, verrät Stern seine Protagonisten nie. Indem wir von ihren Wünschen und eben Träumen erfahren, erleben wir sie als unsere nächsten Verwandten - und wie sollten wir denen wirklich böse sein? Mit solcher Beweglichkeit und Einfühlung kommt Stern den Vorgängen näher, als es aus einer fest installierten kritischen Position möglich wäre: Das macht seine Filme zu wahrhaft aufklärerischen Dokumentationen.
Henners Traum Dtl. 2008. Regie & Buch: Klaus Stern, Kamera: Harald Schmuck; 93 Minuten, Farbe.
Presseübersicht Ferienresort Beberbeck
Römer-Park Resort Aldenhoven
Schweine statt Touristen nördlich des Sees
Zu Ende ist damit auch eine "unendliche Geschichte", die des Multithemenparks bei Langweiler.